Um sich all die besprochenen Fragen zu beantworten, wird ein Lean Startup Team in der Tradition des Lean Thinking handeln und versuchen über kontinuierliches Experimentieren und Messen die Risiken in allen zuvor genannten Risikodimensionen zu reduzieren, bis drei sog. Fits erreicht sind: Problem-Solution Fit, Product-Market Fit, sowie Business Model Fit. Bei Corporate Startups kommt noch der Strategy Fit dazu.
Dies erfolgt über einen Prozess, der „Build-Measure-Learn“-Loop genannt wird (genau genommen sollte dieser eigentlich Learn-Build-Measure-Loop heißen, aber das ist Stoff für einen Extra-Artikel). Wie funktioniert also der Loop? Schauen wir uns mal ein fiktives, aber praxisnahes Beispiel an:
Angenommen ein Team möchte herausfinden, ob eine potenzielle Käufergruppe die neuartige Industriemaschine (Lösung) seines Startups in Betracht ziehen und einen Nutzungsvertrag unterschreiben würde (VP/Pricing Test).
Es würde hierfür nun ein, oder mehrere, kontrollierte Experimente bauen um das Verhalten der Käufer zu messen, ohne die Maschine bereits fertig zu entwickeln. Was das Team herausfinden möchte ist: Ist die Lösung, so wie wir sie bauen würden, attraktiv für den Kunden? Wenn ja: wie können wir ihm verlässliche Signale für eine Zahlungsbereitschaft entlocken?
Für die erste Experimentrunde kreiert das Team einfach ein sog. Spec-Sheet, gibt vor, die Maschine existiere schon (Build) und diskutiert mit Käufer und/oder Nutzer (und anderen Einflussgruppen) in einem ersten ‘Verkaufsgespräch’ welche Leistungsparameter und Features sie in welchem Umfang benötigen werden. Dabei lernt es mehr über die Bedürfnisse (JTBD), Pains und Gains von Nutzer und Käufer. Ggf. fragt es auch schon eine erste Zahlungsbereitschaft ab (Measure). Wichtig ist hier die Illusion für die Testprobanden, dass die Lösung tatsächlich schon existiert. Warum? Weil das Team echtes, unverstelltes Verhalten evozieren und messen möchte. Das Team kommt mit vielen neuen Informationen nach Hause und hat auch erste Bestätigung welche Features und vor allem Verkaufsargumente aus Sicht des Kunden gestrichen werden können und welche noch dazu kommen müssen (Learn). Dies nennt man eine generative oder explorative Testrunde. Das Ganze dauert nur ein bis zwei Wochen.
Angenommen, das Team hat nun gelernt, dass die Kunden auch mit 60 % der Leistung Ihrer vorgeschlagenen Lösung zufrieden wären, Ihnen aber noch gewisse (technisch nebensächliche) Features fehlen, die aber wichtig sind für sowohl Einkauf als auch IT, die sie als Buying Center mit ins Boot holen müssen, weil diese die Verträge freigeben. Also ändert es das Spec-Sheet entsprechend und konzipiert darauf aufbauend ein neues Experiment. Diesmal aber mit dem Ziel eine ganz spezielle Hypothese zu (in)validieren: „Wir glauben, dass die aktuelle Spec Sheet Konfiguration für einen ausgewogeneren Ausgleich der Interessen im Buying Center sorgt. Wir liegen richtig, wenn über die Hälfte unserer Leads Ihr Buying-Center überzeugen konnte, einen Letter-of-Intent zu unterschreiben der besagt, der alten Lösung im neuen Jahr zu ‘kündigen’.“
Diesmal geht es dem Team also nur darum richtig, oder falsch zu liegen in Bezug auf diese spezielle Frage. Das Experimentdesign ist ein sog. »Letter of Intent«, eine übliche Form im B2B, die Parteien vor Vertragsabschluss wählen, um zu zeigen, dass sie es ernst meinen. Das Team hat 12 qualifizierte Leads in verschiedenen Unternehmen aus seiner Experimentrunde 01 „Spec-Sheet“, die signalisiert haben, bereit zu sein einen nächsten Schritt zu gehen. Das Team einigt sich darauf, dass sie zuversichtlich sein können, dass Ihre Lösung auf Product-Market Fit zusteuert, wenn sie mit den aktualisierten Specs bei mind. sechs Unternehmen zu einer Unterschrift kommen. Wenn es weniger als sechs sind, soll das Experiment als gescheitert gelten und sie müssen neu überlegen, was der nächste Schritt sein kann. Diese Art des Experiments wird oft auch als evaluative Research bezeichnet, da es nicht darum geht neue Optionen zu eröffnen oder Dinge zu entdecken (explorativ/generativ, s.o.), sondern nur darum zu prüfen, ob man richtig oder falsch in seinen Annahmen liegt (hier: sie sind bereit ihre alte Lösung gegen unsere auszutauschen und sich an uns für X Jahre zu binden zu Y EUR). Evaluative Experimente wie diese, in denen Tinte involviert ist, stellen ein viel stärkeres Signal dar, dass das Team auf dem richtigen Weg ist, als z.B. mündliche Absichtserklärungen in Interviews (dennoch sind gut geführte Interviews das Brot-und-Buttergeschäft einer Customer Discovery im Lean Startup Modus).
Beide Male ist also das Team die Lernschleife des Build-Measure-Learn Loops durchlaufen und hat die Erkenntnisse der vorherigen Schleife nutzen können, um sein nächstes Experiment zu bauen. Dies erklärt auch schon ganz grob die Funktionsweise des Lean Startup Prozesses. Doch auch wenn wir in diesem Überblicksartikel nicht in alle Feinheiten einsteigen werden, möchte ich noch ein paar Detailschritte mehr ausführen. Die Fragen, denen sich Lean Startup Teams nämlich stellen müssen sind immer die gleichen:
- Wie können wir unsere impliziten Annahmen darüber, wie wir glauben, dass die Welt funktioniert, externalisieren, diskutierbar und somit später testbar machen?
- Welche Annahmen sollten wir denn zuerst testen?
- Wie formuliert man denn eine Hypothese aus einer Annahme?
- Und woher kommen denn die Ideen für das Design möglicher Live-Experimente im Markt?
Wie ein Lean Startup Team sich diese beantwortet erfahren Sie im nächsten Teil der Artikelserie.