Eine Sonderform eines Lean Experiments (oder besser einer Lean Experiment-Kette) welche Eric Ries berühmt gemacht hat und um die sowohl Startup-Szene als auch Corporate Innovation Units wie ums goldene Kalb tanzen, wollen wir uns im folgenden kurz anschauen: das MVP.
MVP steht für Minimum – oder – Minimal Viable Product, je nach Lesart. Der Begriff wurde von Frank Robinson in den frühen 2000er Jahren geprägt, von der Lean Startup Community aufgegriffen und hat im Laufe der Jahre einen ziemlichen Bedeutungswandel erfahren. Franks ursprünglicher Begriff lautete: „the unique product that maximizes return on risk for both the vendor and the customer“. Für Eric Ries ist das MVP jene Version eines neuen Produkts, die es einem Team ermöglicht, mit dem geringsten Aufwand ein Maximum an validiertem Wissen über Kunden zu sammeln.
Viele Startups und Unternehmen betrachten das MVP heute jedoch als die erste Version ihres Produkts, die genau jenes Minimum an Funktionen mitbringt, mit denen sie ihre ersten Kunden zu einer Zahlung überzeugen können. Salopp gesagt fragen sie sich: „Was ist das Minimum Featureset, mit dem unser Kunde uns geradeso bezahlt gewähren lassen wird, unsere Banane bei ihm reifen zu lassen?“ Betrachtet man große Unternehmen, die agil werden wollen, wird die Verwirrung noch größer, da sie zum anderen Ende des Perfektionsspektrums ausschlagen und sie ein MVP oft als eine bereits voll funktionierende Pilotanlage oder öffentliche Betaversion eines Produkts ansehen, was es definitiv nicht ist. Noch abgefahrener ist nur das Verständnis in der öffentlichen Verwaltung, die sich von McKinsey & Co. einreden lässt, kaum getestete Mockups und Click Dummies seien MVPs.
Die Bandbreite der Auffassungen darüber, was ein MVP ist, ist also ziemlich groß. Es gibt auch viele Diskussionen über das M vorm VP. Manche sagen, es muss Minimal im Sinne von „barely sufficient / gerade noch ausreichend“ heißen (auch unser Favorit). Andere sagen, es sollte Minimum im Sinne von „least quantity, lowest possible amount / geringste Menge, geringstmöglicher Umfang“ lauten. Letzteres ist unserer Meinung nach irreführend und befeuert o.g. Spektrum an Verständnissen, hat sich aber dennoch zum Standard entwickelt in Managementdiskurs und Startup-Szene, weshalb wir nicht versuchen gegen den Strom schwimmen und das Wort auch nutzen, dabei aber unser Begriffsverständnis meinen. Man kann also sagen, dass die MVP Diskussion zu einer Art philosophischem Minenfeld geworden ist. Wir bei co:dify verstehen ein MVP eher als einen Prozess und einen Geisteszustand: Prozess im Sinne einer Kette von aufeinander aufbauenden Experimenten, die alle Aspekte abgetestet hat, die einer vom Team definierten kritischen Masse an Nutzern und Kunden kauf- und nutzungsentscheidend wichtig sind. Oft kann — muss dies aber nicht — in einem umfangreicheren Prototyp münden, wie die Beispiele unten zeigen. Mit Geisteszustand meinen wir das Bewusstsein, dass ein MVP sich über einen Zeitverlauf à la »sense and respond« entwickeln darf und unsere Intention damit nicht vorrangig ist, ein Etappenziel, Meilenstein, eine öffentliche Beta oder einen Piloten erreichen zu müssen.
Beispiele für gelungene MVPs
- Das bereits erwähnte Zappos Concierge-MVP Experiment.
- Joel Gascoignes Landing-Page, um das Wertversprechen des Services zu testen, der später Buffer werden sollte.
- Lufthansa iHubs „Mission Control“ Concierge MVP, um Kundeninteraktionen und -nachfrage zu testen.