Bevor wir uns das ‘Lean’ vorm Startup genauer angucken, sollten wir uns zunächst noch einmal klarmachen, was ein Startup ist. Wir haben bereits angedeutet, dass Startups nicht ‘klein-skalierte’ Versionen großer Unternehmen sind, mit all Ihren Funktionsbereichen Forschung und Entwicklung, Marketing/Vertrieb, Personalmanagement, Finanzen, Rechnungswesen, Controlling etc. Im Gegenteil, Startups können all diese Bereiche noch gar nicht haben, weil Sie ja oft noch gar kein Geschäftsmodell haben, um welches man letztere organisieren könnte. Das ist auch der Grund, weshalb Steve Blank sagt: „A startup is a temporary organization used to search for a repeatable and scalable business model.“
Und obgleich im Rückblick Dinge immer logisch erscheinen und für die Erfolgsgeschichten in der Wirtschaftspresse post-rationalsiert werden, fühlt sich ein solcher Suchprozess im Moment des Durchlebens für ein Team immer chaotisch und nervenaufreibend an. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sich eine andere Definition von Startup von Dave McLure (Seriengründer und Investor) als die beliebteste auf Quora durchgesetzt hat: „A startup is a company that is confused about what its product is, who its customers are, and how to make money. As soon as it figures out all three things, it ceases being a startup and becomes a real business. Except most times, that doesn’t happen.“
Wow, das müssen wir uns mal auf der Zunge zergehen lassen: Konfusion herrscht in Bezug auf Kunden, das Produkt und mögliche Erlösmodelle. Absolut Harakiri so eine Startup-Gründung, oder? Nicht zwingend, denn Gründer mit einer Lean Philosophie haben raffinierte Handlungsmuster entwickelt, von denen wir lernen können.
„A startup is a company that is confused about what its product is, who its customers are, and how to make money.“
Dave McLure
Ein Unternehmer, der gerne „Lean“ sein möchte, wird anstreben, schnellstmöglich von seinem Zustand der Verwirrung in einen Zustand der Klarheit zu kommen. Das Ganze aber unter der Prämisse, mit möglichst wenig Aufwand und Kapitaleinsatz das maximal Mögliche über „seine blinden Flecken“ zu lernen. Eric Ries’ große »Lean Thinking« Vorbilder, James Womack and Daniel Jones, haben es so formuliert: „Waste is any human activity which absorbs resources but creates no value. Of all resources, there is no resource more valuable than time.“ — Aber, was könnte im Rahmen dieser Weltsicht für einen Unternehmer mehr Waste sein, als sein Produkt fertig zu bauen, um erst dann testen zu können, ob es auf Anklang und Zahlungsbereitschaft bei seinen Kunden trifft? Und genau das ist, was ein Lean Startup niemals machen würde: Eine „Build it and they will come“ Wette einzugehen. Viel zu risikoreich! Viel zu kapitalintensiv! Ein Lean Startup arbeitet eher nach dem Motto: „When they come build it.“ Und wie das funktioniert, werden wir uns im Folgenden angucken.
Rufen wir uns nochmal die typischen Risikodimensionen, über die beim Unternehmer Konfusion herrschen in Erinnerung: Kunde, Produkt, Erlösmodell. Wenn man diese mal noch etwas exakter aufgeteilt ergibt sich folgendes Bild: Kunden haben Probleme — z. B. Pflicht einer Reisekostenabrechnung. Um diese zu adressieren, nutzen Sie Lösungen — z.B. zurechtgebastelte Excel Tabellen (Excel ist speziell im B2B-Kontext die am häufigsten anzutreffende Alternativlösung gegen die ein SaaS-Startup typischerweise antritt). Das Anbieten einer Lösung verursacht Kosten (zumeist auf Seiten des Anbieters). Daher muss dieser sich überlegen, wie er dies kosteneffizient bereitstellen kann im Rahmen eines kompetitiven Preismodells, das der Kunde akzeptiert und für das er bereit ist seine alte Lösung (z. B. Excel) aufzugeben.
Wenn wir uns jetzt noch einmal in Erinnerung rufen, dass die typischen Lean Startup Gründer oder Ingenieur-Produktteams nicht wie im Design Thinking lösungsfrei starten, sondern auf konzeptioneller Ebene oft schon eine (technische) Lösung haben, von der sie zutiefst überzeugt sind, verstehen wir das Startup-Dilemma. Eine bestehende Lösung sucht ein Problem, das es wert ist zu lösen — ein Anwendungsfeld. Auf dieser Suche machen (Corporate) Startup Teams dann gerne mal von draußen schwer verständliche Strategieschwenks, sog. Pivots, die aber total Sinn ergeben, wenn wir uns einmal anschauen, welche Fragen sich das Startup nun im Detail stellen muss:
Lösen wir für die Kundengruppe, von der wir glauben, dass sie Problem X hat, sich darüber bewusst ist und es auch lösen will (alles keine Selbstverständlichkeiten) wirklich das richtige Problem? Wenn nein, hat diese Gruppe ggf. andere Probleme, die wir entdeckt haben und die es wert sind zu lösen, weil man dies gut monetarisieren könnte (Problem-Pivot)?
Oder sollten wir aufhören uns auf diese Kunden zu versteifen und stattdessen schauen, wer noch ähnliche Probleme hat, die unsere ursprüngliche Lösung am Besten adressieren kann (Customer-Pivot)?
Oder, liegt das Problem in der aktuellen Konfiguration unserer Lösung, ihrem Wertversprechen? Dann müssten wir die Lösung verändern, Features anders betonen, etc. Dies geschieht oft im kleinen, ohne die Ursprungstechnologie grundsätzlich infrage zu stellen. Es gibt aber auch Fälle, in denen das Team ganz radikal umschwenkt und z. B. statt Hardware eine reine Software produziert (Solution-Pivot).
Berühmte Pivots
Pivots sind eine faszinierende Sache in der Startup-Welt. Wussten Sie zum Beispiel, dass YouTube als eine Art Online-Dating-Website wie Herzblatt/Je t’aime – Wer mit wem begann? Das Konzept ging nicht auf, aber die Videofunktionalität wurde von den Nutzern begeistert angenommen. Also beschlossen die Gründer, dass diese Videos jeglicher Art hochladen durften, nicht nur Flirtvideos.
Der Begriff Pivot ist vom Basketball inspiriert. Es gibt einen Drehpunkt, wenn ein Spieler mit einem Fuß Kontakt zum Boden hält, ohne seine Position auf dem Boden zu verändern, und den anderen Fuß benutzt, um seinen Körper zu drehen, um seine Position zu verbessern, während er im Besitz des Basketballs ist.
In ähnlicher Weise können Startups vorläufige Sackgassen erreichen, aus denen sie versuchen, sich durch eine Änderung ihrer Strategie zu befreien, ohne ihre gesamte Vision ändern zu müssen. Das ist natürlich nicht einfach. Ein Vertreter aus der Startup-Welt, der es zu Berühmtheit als höchst erfolgreicher, aber unfreiwilliger Pivoter gebracht hat, ist Stewart Butterfield, der damals ein Philosophiestudent aus Cambridge war. Stewart wollte immer das perfekte Online-Spiel schaffen. Das ist seine Leidenschaft, das ist, wonach er strebt. Das erste Spiel, das er entwickelte, war ‘Game Neverending’. Leider war es zu kompliziert und niemand hat es verstanden. Aber die Leute mochten seine Foto-Upload-Funktionalität. Die Geburtsstunde von Flickr! Stewart musste nun also seine Zeit der Entwicklung von Flickr widmen, verkaufte es dann an Yahoo und widmete sich wieder seiner Passion: das perfekte Spiel zu entwickeln. Jetzt hatte er Geld von Yahoo und war auch berühmt. So sammelte er Millionen von Dollar für sein neues Spiel ‘Glitch’, Game Neverending 2.0 sozusagen. Aber die Geschichte wiederholte sich: Das Spiel war zu seltsam, es gewann keine ausreichende Fangemeinde. Sie mussten es abschalten. Auf dem Weg schufen sie ein internes Chat-System für ihr Spiel, von dem sie feststellten, dass es besser funktionierte als die bestehenden Angebote auf dem Markt. Also begannen sie stattdessen, dieses zu kommerzialisieren. Der Rest ist Geschichte: Slack war geboren.
Wenn man diese zu beleuchtenden blinden Flecken zusammenbringt mit den am Anfang der Artikelserie erwähnten Risikodimensionen Desirability (Wünschbarkeit), Viability (Wirtschaftlichkeit) und Feasability (Machbarkeit), so wird deutlich, dass sie ein und dasselbe sind. Speziell für Corporate Startups gilt außerdem noch herauszufinden, ob die Organisation willens und in der Lage ist, das Geschäftsmodell zu entwickeln (Contextuality), weil es zur Strategie passt.
Die Gretchenfrage ist jetzt nur: Wie findet denn unser Lean Startup Team all dies heraus? Wie sieht denn so ein »Schnell-Lernprozess« unter dem Druck einer hohen Cash-Burn-Rate oder gar ganz ohne externes Wagniskapital aus? Nun, dafür lohnt sich ein Blick auf den Prozess …